Frauen auf der Flucht
Wir reden über Flüchtlinge. Aber kaum mit ihnen.
Dieses Buch gibt Frauen auf der Flucht eine Stimme.
Jetzt erhältlich in Ihrer Buchhandlung und bei rotpunktverlag.ch
Zum Buch
Eine Sammlung der Geschichten und Erlebnisse von flüchtenden Frauen, flüchtenden Müttern, von Frauen, die vor sexueller Gewalt auf der Flucht sind, vor Armut, Bedrohung, Krieg und Vertreibung, vor Missbrauch, patriarchalischen Praktiken, aus Hoffnung auf ein besseres Leben.
Flucht reagiert auf Not, auf unhaltbare oder als unhaltbar empfundene, allgemeine oder persönliche Umstände im Heimatland und beginnt mit der Entscheidung zu gehen, manchmal auch unmittelbar aufgrund der Bedrohung für sich und andere.
Für Frauen ist Flucht oft nicht das erhoffte Ende, sondern eine weitere Etappe auf dem Leidensweg von Unterdrückung und sexueller Gewalt. Selbstbestimmung über ihr Leben, über ihren Körper, ihre Sexualität, ihre Kinder, ihre Gesundheit ist Frauen in vielen Gesellschaften nicht gegeben. Auf der Flucht schon gar nicht.
Flucht basiert auf dem Bedürfnis nach einem Leben in Sicherheit und Würde, mit der Möglichkeit, für die Seinen zu sorgen. Flucht mündet meist in den Limbo eines Flüchtlingslagers oder Aufnahmezentrums und endet irgendwann mehr oder weniger am Rand der Gesellschaft eines fremden Landes.
Die Autorin
Zwei Jahre lang habe ich Frauen auf der Flucht aufgesucht und sie um ihre Geschichte gebeten. Geflüchtet sind sie aus Afghanistan, Syrien, Iran, Irak, Kamerun, Somalia, Eritrea, Palästina, Xinjiang, Tibet, der Ukraine. Getroffen habe ich sie auf Lesbos, im Libanon, in Schweden, der Schweiz.
Wer bist du?
Die geflüchtete Frau und ich hatten uns über eine Tasse Tee hinweg angelächelt. Da war dieses Gefühl, sich kennenlernen zu wollen.
Mir war beschieden worden, dass ich als Mitarbeiterin der Hilfsorganisation, um allfällige Retraumatisierungen zu vermeiden, nicht mit den Geflüchteten über ihre Erlebnisse reden dürfe. Später notierte ich die Geschichte einer geflüchteten Frau, um ihr im Asylprozess zu helfen. Eine Kulturvermittlerin übersetzte. Sie erklärte mir die Zusammenhänge des Bürgerkriegs in dem Land, aus dem die Frau geflüchtet war, dessen Lebensbedingungen und sozialen Gegebenheiten. Das Gespräch dauerte Stunden.
Am Ende waren wir alle drei erschöpft. Aber die geflüchtete Frau hatte zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Europa über sich berichtet; sie hatte hinterfragt und beweint, was ihr vor und während der Flucht widerfahren war. Sie erzählte, manchmal atemlos, manchmal empört, manchmal nachdenklich, viele schreckliche Details ihrer Lebensgeschichte, die sich in ihr Hirn eingebrannt hatten. Entscheidend war, dass sie in ihrer Sprache erzählen konnte. Zum Schluss sagte sie: «So, jetzt weißt du alles.»
Die Frauen, die mir ihre Geschichte anvertrauten, haben selbst entschieden, was und wie viel sie mir mitteilten. Es sind ihre Geschichten, die ich notierte. Die Frauen haben von ihren Erfahrungen, von schrecklichem Leid berichtet. Carolin Emcke schreibt in ihrem Buch Weil es sagbar ist, dass das Festhalten der Geschichten geflüchteter Menschen zu deren Reindividualisierung führe. Ziel dieses Buches ist es, zum Verständnis beizutragen, dass sich hinter den enormen Flüchtlingszahlen lauter einzelne Schickale verbergen.
Lernen Sie Frauen auf der Flucht kennen.
Wer sie sind und was sie erlebt haben.
Afghanistan, Farnaz
Unsere Liebe war umöglich. Trotzdem ist sie passiert. Als Javid bei meinem Vater um meine Hand anhielt, war klar, dass er ablehnen würde. Bei uns heiratet ein Sunnit keine Shiitin.
Beitrag von Radio SRF 1
Iran, Ghazaleh
Ich wurde mit 15 Jahren verheiratet. Mein Mann hat mich geschlagen und vergewaltigt. Erst auf der Flucht in Europa hat mir eine Sozialarbeiterin erklärt, dass ich mir das nicht gefallen lassen muss.
Eritrea, Kidane
Ich wäre niemals durch die libysche Wüste geflüchtet. Das war mir zu gefährlich. Zum Glück gaben mir meine Eltern das Geld. Meine Flucht war sicher. Sie kostete 15’000 US-Dollar.
Warum Frauen flüchten
100 Millionen Menschen werden gemäß UNHCR im Jahr 2022 auf der Flucht sein. Ein Viertel bis die Hälfte davon sind Frauen. Was die Zahlen verbergen, sind die einzelnen Schicksale – von alleinstehenden Frauen, Ehefrauen, zwangsverheirateten Frauen, vergewaltigten Frauen, beschnittenen Frauen, behinderten Frauen, jugendlichen Mädchen, Müttern, Großmüttern, ausgebombten Frauen, kriegsverletzten Frauen, von Studentinnen, Analphabetinnen, Frauen, die den Schleier tragen, Frauen, die ihre Burka ablegten, großartigen, mutigen, selbstbewussten Frauen.
Frauen flüchten wie Männer vor Krieg, Verwüstung, Bedrohung und aus Angst um ihre eigene und die Sicherheit ihrer Kinder. Frauen flüchten darüber hinaus aber auch aus «geschlechtsspezifischen» Gründen – ein irritierend neutraler Begriff, mit dem unvorstellbare Qualen und Leiden bemäntelt sind, die Frauen angetan werden.
Geschlechtsspezifische Gewalt bedeutet Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, Levirat (Schwagerehe), Bedrohung und Missbrauch aufgrund sexueller Orientierung und verschiedenste Grausamkeiten mehr. Als ich zum ersten Mal von «Brustbügeln» las, dachte ich, es handle sich um einen Druckfehler, und fragte mich, was Lingèrie im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt zu suchen habe.